Gedanken zum 5. Sonntag nach Trinitatis

Nachricht 04. Juli 2021

Liebe Gemeinde,

wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Diese Fragen von Paulus haben wir gerade gehört. Wie würden wir sie heute beantworten?

Für die einen sitzen sie vielleicht in den großen IT-Firmen. Deren Mitarbeiter setzen bei ihrer Jagd nach der modernsten Technik auf immer mehr, auf immer neuere digitale Tools. Nicht wenige träumen von künstlicher Intelligenz. Andere finden sie an den Universitäten, wo die Hochschullehrer Altes und Neues erforschen, neue Erkenntnisse weitergeben und damit unser Wissen auf dem aktuellen Stand halten. Wieder andere sehen sie in politischen Gremien, wo gesellschaftliche Ziele diskutiert und Maßnahmen beschlossen werden, die unser aller Leben beeinflussen. Sicherlich denkt der eine oder andere auch an die sogenannten Experten-Runden im Fernsehen, die wir in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie häufig erlebt haben.

„Weise“ ist heutzutage ein nicht mehr allzu gebräuchliches Wort. Und doch sind es die weisen Menschen, zu denen andere aufschauen und sagen: Daran können wir uns orientieren! Oder sogar: Diese Fähigkeit ist erstrebenswert, die möchte ich auch erlangen!

Schon in der frühen korinthischen Gemeinde gab es einige Gemeindeglieder, die die Erlangung der Weisheit als höchstes Gut ansahen. Das erstrebenswerte Ziel der antiken Philosophien war die Vollkommenheit. Diese philosophischen Lehren setzten darauf, dass die Menschen aus sich selbst heraus dieses Ziel der Glückseligkeit erreichen konnten. Aber nur den wenigsten gelang dies. Das führte nicht selten zu unschönem Wettbewerb oder eben auch zu Verdruss. Dennoch strebten viele Christen in Korinth dieses Ziel an. Paulus will ihnen diesen Druck nehmen und lässt sie wissen: „Denn es steht geschrieben (Jes 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« (…) Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“

Damit will Paulus klarstellen: In den Augen Gottes ist die weltliche Weisheit nicht viel wert. Der Grund dafür ist, dass dieses Streben nach menschlicher oder weltlicher Weisheit den Blick dafür verstellt, was Gott in seiner Weisheit für uns Menschen bereithält: „Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben.“

Aus diesem Grund, so erklärt es Paulus, setzt Gott diesem menschlichen Streben nach Weisheit, nach Vollkommenheit, nach dem „Der-Beste-Sein“ etwas entgegen: Die Torheit der Predigt, konkret die Torheit vom Kreuz. Es ist ein Paradoxon: Nicht die Weisheit, sondern ihr Gegenteil, eine vermeintliche Torheit, macht selig. Man kann den griechischen Text an dieser Stelle auch übersetzen mit: die Torheit „rettet“. Die Torheit, die Gott der weltlichen Weisheit entgegensetzt, ist das Kreuz bzw. die Predigt oder Botschaft des gekreuzigten Retters Jesus Christus.

Das Kreuz ist heute ein über Jahrhunderte, ja Jahrtausende etabliertes Symbol für unseren christlichen Glauben. Man sieht es an Halsketten, an Wohnzimmerwänden, auf Kirchtürmen. Niemand wundert sich hier im christlichen Europa darüber. Aber das war eben nicht immer so. Als Paulus die christliche Botschaft auf seinen Missionsreisen verbreitete, war das Kreuz vor allem als Folterinstrument der Römer bekannt. Es war ein furchteinflößendes Zeichen, ein Symbol für die ganze Grausamkeit der Besatzungsmacht. Deshalb schien es vielen eine Torheit, einen Gekreuzigten als Grundlage der eigenen Rettung anzusehen. Demgegenüber stellt Paulus klar: „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft.“ Paulus versucht, die Korinther davon zu überzeugen, dass die Maßstäbe, die Menschen üblicherweise an das Handeln eines Gottes anlegten, in Bezug auf Jesus nicht gelten können: „Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“

Juden – so Paulus – fordern Zeichen. Sie erwarten vom Messias einen Beweis göttlicher Macht und Stärke, erwarten einen siegreichen Retter in der Tradition des Königs Davids. Wer dagegen unterliegt und gar am Kreuz stirbt, kann nur ein Ärgernis, ja ein Skandal sein. Die Griechen – so Paulus – sehen im Kreuz eine Torheit. Denn das Kreuz steht im Widerspruch zu jeder vernünftigen Vorstellung von Gott. Wenn Gott als das höchste und größte Prinzip allen Seins gedacht wird, eben als die umfassende Weisheit der Welt – wie soll sich dann Jesu Tod am Kreuz damit zusammendenken lassen? Ein Gott, der sich verletzlich macht, der zulässt, dass Menschen ihn demütigen, ihn mit allen Mitteln beseitigen wollen? Das muss ja als der pure Unsinn, als vollkommene Torheit erscheinen!

Paulus schließt seine Ausführungen mit folgenden Worten: „Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.“ Damit setzt er einen Maßstab, der im totalen Widerspruch steht zu der Sichtweise der korinthischen Gemeindeglieder, die ihr Heil doch darin suchten, sich gegenseitig zu übertrumpfen.

Gottes Stärke aber zeigt sich am Kreuz. Denn Gott, der Starke, der Allwissende, bleibt nicht unberührt von alldem, was uns Menschen beschäftigt, was unser Herz manchmal zu zerreißen droht. Seine Stärke zeigt sich darin, dass er Schmerz und Leid aushält. Dass er es aushält mit allem, was uns bewegt. Am Kreuz bietet er uns einen Platz zum Verweilen an und schaut in unser Herz. Und er sieht, wie viel Angst darin wohnt, sieht, wenn wir müde und erschöpft sind, wenn wir überfordert oder enttäuscht sind, wenn wir verletzt oder verzweifelt sind. Er hält uns aus, bleibt bei uns und bringt uns hinein in seine Nähe, in seine Kraft, in seine Weisheit. Als Mensch unter Menschen sucht er uns. So möchte er uns gewinnen. Das ist Gottes Weisheit.

Erinnern wir uns an die Fragen des Paulus: Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Wenn wir diese Fragen hören, können wir sagen: Gemeint sind diejenigen, die sich an der beschriebenen Weisheit Gottes orientieren, die sich einsetzen für die Schwachen und Hilflosen. Die sich kümmern um die Kleinen und Großen. Diejenigen, die auch jetzt in einer Phase vieler Lockerungen in der Pandemie auf die Ängstlichen und Unsicheren Rücksicht nehmen und nicht jedes vermeintliche Recht durchsetzen, nicht jedes vermeintliche Bedürfnis befriedigen wollen. Die auch weiterhin dort, wo es sinnvoll ist, Masken tragen und Abstand halten. Die auch weiterhin ihr Verhalten kritisch hinterfragen, so wie Paulus es z.B. im Hinblick auf das Verzehren von Götzenopferfleisch tat. Rechtlich sprach nichts dagegen, aber da waren einige Gemeindeglieder, denen der sorglose Umgang damit Angst machte und die verunsichert waren.

Und damit sie mich nicht falsch verstehen: Wir brauchen natürlich auch die klugen Köpfe unter uns. Menschliches Wissen ist wichtig für uns, ja überlebenswichtig. Denn ohne Wissen und Klugheit sind die Herausforderungen unserer Zeit nicht zu meistern. Große Anstrengungen sind notwendig, wenn viele Menschen an diesem Wissen partizipieren und von diesem profitieren sollen. Wir brauchen z.B. die klugen Köpfe, wenn es um die Gesundheit der Menschen oder den Schutz der Umwelt geht. Wir brauchen die Forscher, aber auch kluge und verantwortungsbewusste Entscheidungsträger. Bei alledem müssen wir uns jedoch vor Augen führen, dass menschliche Weisheit allein nicht die Basis für den seligmachenden, rettenden Weg des Lebens sein kann. Denn menschliche Weisheit ist und bleibt endlich. Nur Gottes lebensschaffende Weisheit endet nicht, sie ist nicht beschränkt durch die Grenzen unserer Kraft, unserer Gesundheit, unseres Wissens. Gott geht in seiner Weisheit hinein in die Tiefe unseres Lebens mit allem, was dazu gehört. Das Kreuz ist das Zeichen dieser Weisheit. Es muss denjenigen als Torheit erscheinen, die den Erfolg, die Macht und Ansehen als Maßstab für ein erfülltes Leben ansehen.

Damit Gottes Weisheit uns aber zu Gottes Kraft und zur Rettung wird, brauchen wir immer wieder das Wort vom Kreuz. Lassen wir uns durch diese Botschaft stärken!

Amen

 

Bleiben Sie behütet und gesund!
Ihre Pastorin Heidrun Gunkel

 

Pastorin

Dr. Heidrun Gunkel
Luisenstraße 11
31224 Peine