Andacht zur Jahreslosung

Für dieses neue Jahr 2024 wurde eine Jahreslosung ausgewählt, die einerseits recht simpel, andererseits jedoch ziemlich kompliziert anmutet. Sie stammt aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther und lautet:

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“

 

Was tut man nicht alles in Liebe?

Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kam die junge Neuseeländerin Kim Casali auf die Idee, ihrem Verlobten Roberto täglich eine kleine Zeichnung zu schenken mit einem Spruch, der mit den Worten »Liebe ist …« beginnt. Ihr Verlobter und späterer Ehemann war nicht nur begeistert, sondern schickte einen Stapel dieser kleinen Zeichnungen an eine amerikanische Zeitung, die zum Valentinstag 1970 erstmals eine davon veröffentlichte. Damit begann ein Siegeszug dieser Kombination von Aussage und Zeichnung, der bis heute anhält. Die Aussagen wurden in viele verschiedenen Sprachen übersetzt und in etlichen Tageszeitungen auf der ganzen Welt veröffentlicht. Es sollen inzwischen über 8.000 Zeichnungen mit verschiedenen Sprüchen sein. Da sind zum Beispiel folgende Aussagen illustriert: „Liebe ist … dankbar zu sein, für jeden Tag, den man gemeinsam verbringen kann. Liebe ist … sich gegenseitig Kraft zu geben. Liebe ist …, wenn ein Streit nie lange dauert. Liebe ist …, wenn auch an grauen Tagen alles himmelblau erscheint.“ Was ursprünglich allein auf die Liebe zwischen zwei Menschen bezogen war, wurde später ausgeweitet auf die Familie, auf Freundschaften und das menschliche Miteinander insgesamt: „Liebe ist …, die Menschen, die du liebst, glücklich zu machen. Liebe ist … Fürsorge. Liebe ist … kostbare Momente festzuhalten.“

 

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ – Ob sich dieser Vers von Paulus auch für diese bekannten Zeitungszeichnungen eignen würde?

Zunächst scheint diese Aufforderung doch völlig klar und simpel zu sein. Das wissen wir doch, das ist doch unser Auftrag als Christen! Aber bei näherem Hinsehen wird deutlich: Paulus sieht sich zu dieser Aufforderung genötigt, weil in der korinthischen Gemeinde, an die er den oben genannten Brief richtete, keineswegs nur ein liebevoller Umgang miteinander herrschte: Es gab Spaltungen in der Gemeinde, weil die einen sich an Paulus halten wollen, andere an Apollos und wieder andere an Petrus. Es wurde über Fragen gestritten, die das tägliche Leben betrafen, zum Beispiel, ob man heiraten oder lieber unverheiratet bleiben soll, ob man sich an die jüdischen Speisegebote halten soll oder dies nicht erforderlich sei. Und es ging auch um Fragen, wie der Gottesdienst gefeiert werden soll, ob man in Zungen reden soll, ob Frauen auch etwas in der Gemeindeversammlung sagen dürfen. Und außerdem kommt es insbesondere bei der Abendmahlsfeier zu Spannungen zwischen den ärmeren und reicheren Gemeindegliedern.

Kommt ihnen das vielleicht bekannt vor? Gibt es nicht auch heute immer wieder Spaltungen in unseren Gemeinden? Meinungsverschiedenheiten, Streit und manchmal sogar total verfahrene Situationen, Neid und Missgunst. Anlässe dafür gibt es viele. Denken Sie nur an die Frage, wie wir künftig hier in der Region Peine evangelisch-lutherische Kirche sein wollen, wie wir unser Angebot aufstellen wollen. Was ist unumgänglich, was zumindest sinnvoll, wo verlaufen die Grenzen? In welchem Umfang soll man an Traditionen festhalten, inwieweit Neues wagen?

Wenn man die Ermahnungen des Paulus liest, kann man den Eindruck gewinnen, dass es damals in der korinthischen Gemeinde ziemlich ruppig zugegangen sein muss. Das ist der Grund dafür, dass Paulus so vehement bemüht war, die Gemeinde zu einem liebevollen Umgang zu ermahnen. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Diese - die Jahreslosung 2024 bildende - Aufforderung stammt aus dem Schluss des Briefes. Aber bereits im 13. Kapitel seines Briefes hatte Paulus das sogenannte Hohelied der Liebe an die Korinther geschrieben. Es endet mit den berühmten Worten: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“

Die Aufforderung, Liebe möge unser Handeln als Christen bestimmen, ist also gerade deshalb notwendig, weil dies eben nicht so selbstverständlich ist, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Nirgendwo auf dieser Welt besteht das menschliche Leben nur aus Liebe. Das ist die Realität. Deshalb lohnt es sich, an dieser Stelle noch einmal genauer nachzuforschen, wie Paulus das hier eigentlich genau meint und wie es gelingen kann, seiner Forderung in immer größer werdenden Maße folgen zu können.

In dieser Hinsicht können leicht Missverständnisse entstehen: Alles, was wir tun, mit Liebe geschehen zu lassen, heißt nicht etwa, immer zu lächeln. Es heißt auch nicht, Probleme unter den Teppich zu kehren, Friede, Freude, Eierkuchen als Maxime anzunehmen. Jesus und in der Folge auch Paulus geben uns gute Beispiele dafür, dass Liebe all dies nicht ist. Jesus spricht den Machthabern seiner Zeit in das Gewissen. Er wirft in seinem Zorn die Geldwechsler aus dem Tempel. Er beschuldigt die, die sich mit ihrer Frömmigkeit zur Schau stellen, der Heuchelei. Und Paulus benennt die Missstände in Korinth, wie wir schon hörten, schonungslos beim Namen. Manchmal muss darüber gestritten werden, wie Liebe am besten in die Tat umgesetzt wird. Und es kann sogar Situation geben, in denen unterschiedliche Meinungen stehen bleiben müssen, nicht aufzulösen sind. Denken wir nur an den Streit um Waffenlieferungen an Kriegsparteien, an die Sorge um die Natur und die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen. Was den Menschen zum Besten dient und bester Ausdruck von Liebe und Nächstenliebe ist, das ist selten ganz eindeutig zu erkennen. Das gilt nicht nur in der Politik und im öffentlichen Leben. Auch privat, in den Beziehungen zur Umwelt, insbesondere in der Familie: Was dient den Kindern am besten? Mehr Freiheiten oder das Setzen von Grenzen? Was auch immer ich tue, es ist risikobehaftet, kann sich als ungeeignet herausstellen. Es kann sogar vorkommen, dass man sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, lieblos zu sein, obwohl man doch in bester Absicht gehandelt hat. Was uns die die Jahreslosung deutlich macht, ist folgendes: Wir bleiben verantwortlich für unser Tun in der Liebe. Wir sind gehalten, immer wieder darum zu ringen, wie wir diesen Auftrag angehen können. Wir sind gehalten, die Liebe immer miteinzubringen, und zwar bei allem, was unser Leben im Alltag bestimmt, bei all den vielen Aufgaben und Kleinigkeiten.

Denn die Liebe kann alles verwandeln. Ein Gedicht eines unbekannten Autors sagt: »Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich. Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart. Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig. Besitz ohne Liebe macht geizig. Glaube ohne Liebe macht fanatisch.« Das bedeutet: Liebe ist nicht etwas eigenes, das allen anderen Dingen gegenübersteht. Sondern Liebe ist etwas, das zu allen Dingen hinzukommen muss. Auch der Glaube braucht die Liebe, um sich im alltäglichen Leben zu bewähren. Die Liebe ist das Band, das uns mit Gott und allen Menschen verbindet. Ja, die tätige Liebe kann die Welt verwandeln.

Und dann wird sich zeigen, wie sich auch Gottes Liebe in unserer Liebe ausbreitet. Es ist gut, wenn die Jahreslosung uns daran erinnert, auf die Liebe zu achten:

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Ein Jahr lang soll uns das von Paulus stammende Wort nun begleiten. Ein Jahr also Gelegenheit, unser Tun bewusst jeden Tag durch die Liebe verwandeln zu lassen. Dabei können Tage, die nicht sowieso schon hervorleuchten, durch die Liebe zum Glänzen gebracht werden. Der Möglichkeiten gibt es so viele – in unserem Denken, in unserem Reden und Schweigen, Tun und Lassen. Weil Gott mit Herz und Hand dabei ist, haben wir berechtigte Hoffnung. Vielleicht übrigens würde Paulus für eine dieser Zeitungszeichnungen seine Aufforderung so formulieren: „Liebe ist … wenn ich mein Herz in Gottes Hand lege.“

Legen wir also unsere Herzen nur getrost in Gottes Hände. Und am Ende werden wir staunend und beschenkt und dankbar dastehen. Und andere mit uns. Denn an jeder kleinen Stelle, an der das gelingt, wird es ein gutes Jahr 2024 werden.

Amen

Ihre Pastorin Heidrun Gunkel

Pastorin

Dr. Heidrun Gunkel
Luisenstraße 11
Peine