Gedanken zum 3. Sonntag nach Trinitatis

Nachricht 20. Juni 2021

Predigt zu Lukas 15, 1-10

1 Es nahten sich ihm [Jesus] aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.

Vom verlorenen Schaf

3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet? 5 Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Vom verlorenen Groschen

8 Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

haben Sie, habt Ihr schon mal nach einem verlorenen Schlüssel gesucht? Ja? Oder ist Ihnen und Euch schon mal eine Münze runtergefallen und irgendwo hin in den Raum gekullert, und schon kriecht man unter Tisch und Stuhl und Bänke und schaut unter Schränken nach, ob das Geldstück dort nicht liegt? Auch so etwas dürften die meisten von uns kennen. Und auch die Freude, wenn man das Verlorene ertastet, sieht und schließlich wieder in den Händen hält. Oft ist es auch so, dass man anderen davon erzählt: wie man etwas verloren hat, sich auf die Suche, vielleicht sogar auf eine lange Suche begab, schließlich das Verlorene fand und sich riesig darüber gefreut hat. Und so können auch wir wohl gut die beiden Gleichnisse vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Silbergroschen nachempfinden.

     Man könnte in Bezug auf die beiden Geschichten fragen: Na, was macht sich die Frau um den einen verlorenen Silbergroschen eigentlich so einen Kopf? Sie hat doch noch neun andere. Also warum groß suchen? Oder der Hirte, der hat doch immer noch neunundneunzig Schafe, auch wenn eines verloren gegangen ist? Und doch: es würde wohl etwas fehlen, es wäre etwas nicht vollständig, vollzählig ohne das verlorene Eine. Und so macht man sich auf die Suche und freut sich, ist glücklich, wenn man das Verlorengegangene findet. Ein Happyend. Wer wünscht sich das nicht? Zehn oder hundert sind auch Symbolzahlen der Vollkommenheit. Alles ist heil und gut.

     Suchen und Finden, das spricht, denke ich, eine Tiefendimension in unserem Leben als Menschen an. Das hat eine Tiefenbedeutung. Öfter berichten Zeitungen und andere Medien über Suchaktionen. Jemand wird vermisst, manchmal besteht kaum noch Hoffnung, und trotzdem wird weitergesucht. Alle Hebel werden in Bewegung gesetzt, um den Vermissten nicht an das Unglück, den möglichen Tod verloren zu geben, sondern zu finden und zu retten. Und Tränen der Freude fließen, wenn das gelingt. Manchmal suchen Menschen nach jemandem, der vermisst ist, jahrelang; man gibt die Hoffnung nicht auf. Und je unwahrscheinlicher ein erfolgreicher Ausgang der Suche, desto größer, gewaltiger die Freude, wenn sie doch Erfolg hat.

     Ich denke auch, Menschen möchten gefunden werden. Nehmen wir ein Versteckspiel; da geht es ja eigentlich darum, dass man möglichst nicht gefunden wird. Und doch kann man besonders bei Kindern erleben, dass sie das auf die Dauer gar nicht gut finden und aushalten. Irgendwann hört man von hinter einem Baum oder einer Mauer: „Hier bin ich, hier bin ich.“ Und Glücklichsein liegt in den Augen, wenn man sich gegenübersteht. Man hat sich gefunden. „Zwei haben sich gefunden“ – das sagt man auch von Liebenden.

     Gott ist ein Liebender – und so macht er sich auf die Suche nach uns Menschen. Selbst schwierigste Menschen, Menschen mit unschöner, liebloser, schuldbeladener Vergangenheit hat er im Blick. Das unterstreicht Jesu Tischgemeinschaft mit solchen Menschen. Manche unter den Frommen finden das gar nicht gut und murren: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ (Lk 15, 2) Jesus gibt keinen Menschen verloren, er schreibt keinen ab. Wie sieht das eigentlich bei uns aus und unserem Verhältnis zu anderen Menschen? Gibt es Menschen, bei denen wir sagen: Mit dem oder der will ich nichts zu tun haben? Mit dem oder der rede ich nicht mehr? Mit dem oder der will ich nicht an einem Tisch sitzen? Oder lassen wir uns inspirieren von Jesu Verhalten, in dem zum Ausdruck kommt, was er durch die beiden Gleichnisse von Gott erzählt? Dass der einer ist, der uns sucht, der nie die Suche aufgibt, der sich dabei von den unschönen und lieblosen Seiten, die auch wir immer wieder haben, nicht abschrecken lässt. Von Gott gilt das, was vom Hirten und von der Frau in den beiden Gleichnissen erzählt wird: Sie suchen, unermüdlich, bis sie finden (s. Lk 15, 4.8). Besonders schön ist dann das Bild im Gleichnis vom verlorenen Schaf: „Und wenn er´s gefunden hat, so legt er sich´s auf die Schultern voller Freude.“ (Lk 15, 5) Der Hirte und das Schaf gehören zusammen, Gott und Mensch gehören zusammen. Das bedeutet Freude, große Freude für beide Seiten.

     Als Symbol des christlichen Glaubens hat sich das Kreuz entwickelt; es ist das Zeichen einer Hingabe, einer Liebe Gottes, der kein Preis zu hoch ist, um uns aus Verlorenheit zu retten. Älter als das Kreuz, ja wohl die älteste künstlerische Darstellung des christlichen Glaubens ist die Darstellung eines Hirten, der ein Schaf auf seinen Schultern trägt. Jesus wird da als guter Hirte dargestellt, in dem Gott sich auf den Weg macht, um, wie auch immer verlorene Menschen, eben auch an Lieblosigkeit und an den Tod verlorene Menschen zu suchen und aus dieser Verlorenheit zu retten zu einer Gemeinschaft mit Gott, die Freude bedeutet und ewig währt. Wir sind gehalten und getragen ohne Ende.

     Nicht nur Gott sucht. Ich denke, auch wir Menschen sind unser Leben lang auf der Suche nach Zufriedenheit, nach Frieden, nach Liebe, nach etwas, was für uns höchstes Gut, größtes Glück bedeutet. Es ist vielleicht die Suche nach dem verlorenen Paradies, die in uns allen steckt. Und jede, jeder versucht es auf die eigene Weise zu finden. Auch ein Bankräuber will glücklich sein und meint, dass das viele Geld ihm das ermöglicht. Aber er sucht das Glück in der falschen Richtung, wird dadurch zu einem verfolgten Menschen, der sich wegen seiner Untat verstecken muss, Angst vor Entdeckung hat, in die Irre geht. In mir hat das Gleichnis vom verlorenen Schaf, das übrigens wohl besser heißen müsste „Vom unermüdlich suchenden guten Hirten“ die Erinnerung an ein Zitat des Kirchenvaters Augustin wachgerufen. Es spricht davon, wo man das höchste Gut, das größte Glück, die tiefste Freude findet; es lautet: „Zu dir hin, Gott, hast du uns geschaffen und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir.“ Gott kommt und sucht uns, damit, angefangen schon hier und jetzt, unser Leben gelassen und ruhig wird, weil es gefunden ist vom guten Hirten – gefunden von Gott, der in Jesus unterstreicht: er hält und trägt uns in ewiger Verbundenheit und Liebe.

Amen

Superintendent

Dr. Volker Menke
Luisenstr. 15
31224 Peine