Nachgedacht

Liebe Leserin, lieber Leser,
ist er schon da, wenn Sie diese Zeilen lesen, der Aufbruch in den Frühling? Jedes Mal, wenn ich dieses Wort lese oder höre, geht mir durch den Kopf, dass in dem Wort „Aufbruch“ ja das Verb auf-„brechen“ steckt. Um etwas zu brechen, braucht es Kraft, vielleicht manchmal sogar Gewalt. Man macht es nicht mal eben so, im Vorübergehen, sondern es ist gewollt und die Kräfte werden gebraucht und gebündelt – um aufzubrechen oder auch abzubrechen.

Ob es schön ist aufzubrechen? Gerne ist die Rede davon, dass mit einem Aufbruch neue Chancen verbunden sind, neue Lebensaussichten, neue Aspekte, die ohne einen Aufbruch eben nicht zu haben wären. Aber unter dem Aspekt, dass es immer auch um den Einsatz von Kraft und / oder Gewalt geht, sind doch auch Zweifel daran zu hegen, dass allein dieser positive Blick das Ganze sein kann. 

Mir fallen einige biblische Geschichten ein, die mit Aufbruch zu tun haben, z. B.: die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies, der Aufbruch Noahs mit der Arche; der Aufbruch Abrahams zur Opferung Isaaks; der Aufbruch Lots aus Sodom; der Aufbruch des Mose mit dem jüdischen Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft; dann – ein Sprung – der Aufbruch Gottes in menschlicher Gestalt zu den Menschen; der Aufbruch Jesu in die Stadt seiner Kreuzigung Jerusalem; der Aufbruch der Auferstehung; der Aufbruch Jesu weg von dieser Welt zurück an die Seite Gottes; der Aufbruch der christlichen Kirche in Einheit und Vielfalt.

Mir kommt es so vor, als sei all diesen Aufbrüchen doch ähnlich, dass der Anlass des Aufbruchs kein freudiger gewesen sei. Adam und Eva mussten die Konsequenzen dafür tragen, dass sie dem Gebot Gottes nicht gefolgt waren; Noah bekam zu spüren, dass Gott haderte mit einer Welt, die meinte, ihn nicht zu brauchen; Moses Aufbruch ließ Gott stark sein in einem Land Ägypten, das ihn ignorieren wollte.

Zur Zeit des Neuen Testaments sind Gottes Aufbrüche keine anderen. In der Geschichte seiner Menschwerdung und seines Menschseins spielt immer wieder eine Rolle, dass die Menschen sich von sich aus nicht auf einen Weg mit ihm einlassen können, dass sie wegdriften, dass es immer wieder den Aufbruch Gottes selbst braucht, um bei ihm bleiben zu können.

Karfreitag und Ostern sind doch das nicht zu überbietende Beispiel für den Aufbruch Gottes. Beide haben mit Gewalt und Kraft zu tun. Karfreitag: Unter Erleidung größter Gewalt positioniert sich Gott bei den Menschen und für die Menschen. Ostern: Als Zeichen einer einzigartigen Kraft geschieht die Auferstehung. Gottes Aufbruch aus dem Grab, der Stein ist weggetan, das Leben bricht auf. Himmelfahrt:  Gott öffnet uns durch Jesus Christus seinen Himmel schon jetzt hier und heute auf Erden. Pfingsten: Gott schenkt uns durch den Heiligen Geist neue Kraft, neuen Mut und ungeahnte Möglichkeiten, an und in seiner Kirche zu bauen.

An dieser Stelle nun mag die Schönheit des Aufbruchs zu sehen oder zu erahnen sein. Schönheit deshalb, weil sich entfalten und uns blühen kann, was kaum zu fassen ist: Gottes Mitsein mit uns in Freude und Gefahr, in Sorglosigkeit und Angst, in Stärke und in Schwachheit. Gott bricht auf – immer wieder. Er will uns mitnehmen – und wir dürfen an seiner Seite bleiben.

Ihre Pastorin

Pastorin

Beate Lenz